Edition der helvetischen Schulumfrage von 1799
Die Lehrer von rund 2500 Schulen der damaligen Schweiz haben im Rahmen der Stapferschen Enquête von 1799 jeweils fast 60 Detailfragen beantwortet. Mit seiner Umfrage wollte der Kultus- und Unterrichtsminister der helvetischen Einheitsrepublik Philipp Albert Stapfer die Grundlagen für eine aufgeklärte Schulreform legen. Zu ihr ist es in der kurzen Zeit dieser Republik nicht gekommen. Die Antwortbögen liefern uns aber wertvolle Informationen zur Lage des Schulwesens Ende des 18. Jahrhunderts, besonders zum Lehrer, dem Unterricht, den Lehrgegenständen, den Lehrmitteln und den Schülern. Die Enquête ist dadurch eine Momentaufnahme der Volksbildung in Mitteleuropa. Ein Vergleich von konfessionell, politisch, sprachlich, gesellschafts- und wirtschaftsgeschichtlich unterschiedlichen Staaten der alten Eidgenossenschaft ist mit ihr möglich.
Die Enquête als Momentaufnahme ihrer Zeit
Die Quelle erlaubt eine Beschreibung des Zustandes von „Alteuropa“ kurz vor 1800. Das Erbe der Frühen Neuzeit, sozusagen die Statik des Schulsystems, wird besonders in der konfessionellen Prägung der Schulen sichtbar. Andererseits werden Tempo und Richtung der Dynamik fassbar, die durch die Säkularisierung und die Volksaufklärung im 18. Jahrhundert freigesetzt wird und sich lokal und regional unterschiedlich ausprägt. Diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zu erfassen, bildet den grossen forschungsstrategischen Reiz der Stapfer-Enquête.
Die Inhalte der Umfrage
Die Stapfer-Enquête liefert keine Leistungsdaten. Dass die Schule des Ancien Régimes keine erfreulichen Leistungen erbrachte, schien für Stapfer festzustehen. Er interessierte sich deshalb für die Rahmenbedingungen, unter denen Schule stattfand: für den wirtschaftlichen und politischen Status des Schulortes, das Einzugsgebiet, für das eine Schule ihre Dienste erbrachte, für die Lehrgegenstände, die Schuldauer im Jahr und je Tag, die Bücher und Schreibvorlagen und die Klasseneinteilung der Schüler, für den Lehrer, seine Ausbildung und Wahl, seine Lebensbedingungen, besonders seine Entlohnung und seine Nebenberufe, für die Zahl der zu Unterrichtenden, besonders aber für die finanziellen Grundlagen der Schule und das Schulgebäude.
Das Projekt im Internet
Die Bögen der Stapfer-Enquête wurden unter der Editionsleitung von Prof. Dr. Heinrich R. Schmidt 2009-2015 sukzessive auf dem Web zugänglich gemacht: als Digitalisate und als Transkriptionen. Sie sind über politische und geographische Karten und weitere Abfragetools zugänglich. Es handelt sich bei diesem SNF-Projekt um eine gemeinsame Initiative verschiedener Institute und Universitäten der Schweiz und Luxemburgs (Bern: Fritz Osterwalder, Institut für Pädagogik; Heinrich R. Schmidt, Historisches Institut – Zürich: Alfred Messerli, Institut für Populäre Kulturen – Luxemburg: Daniel Tröhler, Institut für Pädagogik). Dazu erfolgt eine erste Auswertung der Stapfer-Enquête durch total 8 Dissertationen:
- Finanzierung des Bildungswesens um 1800 in der Helvetischen Republik (Ingrid Brühwiler)
- Schreiben lehren um 1800 (Peter Büttner)
- Über Schule schreiben. Lehrerinnen- und Lehrerperspektiven um 1799 in der Helvetischen Republik (Markus Fuchs)
- Konfessionskultur und Schulwesen (Jens Montandon)
- Das Sozial- und Berufsprofil der Schweizer Volksschullehrer um 1800 (Marcel Rothen)
- Die beschulte Nation (Michael Ruloff)
- Verbreitung und Wandel der Schulmedien im Leseunterricht um 1800 (Nadine Pietzko)
- Curriculare Räume. Schulische Praktiken der Zürcher Volkschulen am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert (Andrea De Vincenti)
Für die Dissertationen und die Tagungsbände, die im Rahmen des Projekts entstehen, wurde eine Veröffentlichungsreihe geschaffen („Studien zur Stapfer-Schulenquête 1799“); die Bände dieser Reihe erscheinen gleichzeitig als Buch und Open Access (über die Projekthomepage erreichbar).
Nachhaltige Transkription und Zugänglichkeit
Alle Texte werden getreu der Vorlage transkribiert. Die Erfassung der Texte erfolgt so, dass die Darstellung auf dem Bildschirm und auf Druckern auf sehr lange Zeit (mindestens 40 Jahre) gesichert ist. Ein Export der transkribierten Umfragebögen in ein akzeptiertes Archivformat ist deswegen von grosser Bedeutung. Zusätzlich zur Transkription der Enquête auf dem Bildschirm wird deshalb die Möglichkeit geschaffen, die Einzeleinträge zu den Schulen als PDF abzurufen (ISO-zertifizierten Archivversion PDF/A). Zusätzlich werden alle numerischen und sonst klassifizierbaren Angaben (z.B. der Nebenberuf der Lehrer) mit der gleichen Langfristperspektive in Datenbanken erfasst, die später als Grundlage für das Suchen, Filtern von Auswerten dienen. Nach Abschluss des Projektes ist die Edition in die Hände des Bundesarchives Bern übergegangen, das ihre nachhaltige Pflege und Zugänglichkeit garantiert.
Weiter Informationen auf der Projektwebsite: http://www.stapferenquete.ch/
Schmidt, Heinrich Richard, Volksbildung in Mitteleuropa im Spiegel der Stapferschen Enquête von 1799, in: Schmitt, H., Böning, H., Greiling, W. und Siegert, R. (Hgg.), Die Entdeckung von Volk, Erziehung und Ökonomie im europäischen Netzwerk der Aufklärung, Bremen 2011, S. 19–42.
Schmidt, Heinrich Richard, Die Stapfer-Enquête als Momentaufnahme der Schweizer Niederen Schulen vor 1800, in: Zeitschrift für Pädagogische Historiographie 14 (2009), S. 98–112.