Berndeutsch im vormodernen Gefängnis: Sprache(n) und Sprachgeschichte im frühneuzeitlichen Bern
Die Berner Turmbücher halten Verbrechen der Vergangenheit fest. Sie entstanden hauptsächlich in der Frühen Neuzeit und bestehen aus Verhörprotokollen aus dem Berner Käfigturm, die heute im Staatsarchiv des Kantons Bern der Öffentlichkeit grundsätzlich zur Einsicht zur Verfügung stehen. Auf den ersten Blick erstaunt es daher, dass weder die (rechts- und sozial-)historische, noch die historisch-soziolinguistische Forschung von diesem Quellenschatz bis heute profitiert hat. Beim Blick auf die Grösse des Korpus (mind. 250'000 Seiten) und die nur für geübte Leser entzifferbare Handschrift der früheren Berner Stadtschreiber erstaunt jedoch das Fehlen umfassender Forschung zu den Berner Turmbüchern nicht. Dazu kommt, dass nicht nur die Forschung zur Quelle selbst, sondern auch zur Schreibsprache in der frühneuzeitlichen Schweiz und zur Sprachgeschichte im Stadtstaat Bern bis heute praktisch fehlt.
Im beantragten Early Postdoc.Mobility-Projekt (Titel: Berndeutsch im vormodernen Gefängnis: Sprache(n) und Sprachgeschichte im frühneuzeitlichen Bern) sollen erstmals anhand von ungefähr 20 Strafprozessakten (ca. 300 Seiten) aus den Berner Turmbüchern Tiefenbohrungen zur sprachlichen Variation im Berndeutschen und zur Berner Sprachgeschichte durchgeführt werden. Es soll geklärt werden, ob im Bern der Frühen Neuzeit eine Kanzleisprache geschrieben wurde, wie sich diese allenfalls präsentierte, wie und ob sich dialektale Variation in der Schreibsprache zu der Zeit manifestiert und ob die verwendete Schreibsprache mit anderen Fällen aus dem deutschsprachigen Raum verglichen werden kann. Ausserdem soll der damalige berndeutsche Dialekt eine Rolle spielen: Wie sah dieser aus? Kann man diesen überhaupt fassen und wenn ja, was lehrt er uns über die Berner Sprachgeschichte? Ein Alleinstellungsmerkmal dieses Projekts ist, dass auch der Einfluss des jeweiligen Stadtschreibers auf die geschriebene Varietät in die Untersuchungen mit einbezogen werden kann. Dank den Aufzeichnungen in den Berner Osterbüchern ist Identität, Herkunft und Ausbildung des jeweiligen Stadtschreibers nachvollziehbar.
Ab Herbst 2020 werden bereits Teile der Berner Turmbücher unter der Verwendung neuer Methoden der Digital Humanities digitalisiert und zur Analyse vorbereitet (Einsatz von sog. ScanTents zur Digitalisierung, automatische Handschriftenerkennung und maschinenlesbare Transkription mittels Transkribus). Dies ermöglicht ein äusserst zeitökonomisches Vorgehen, so dass Resultate aus dem Projekt bereits während und vor allem nach seiner Laufzeit in ausgewählten Publikationen erste Antworten auf die oben gestellten Fragen liefern können.
Die Ergebnisse aus dem Projekt stellen ein Desiderat in mehrfacher Hinsicht dar: Erstens werden zum ersten Mal Aussagen zu einer vor der Einführung des Standarddeutschen verwendeten, geschriebenen Varietät möglich sein und zweitens ergänzen die Ergebnisse in idealer Weise unser Wissen zur lokalen Sprachgeschichte. Dass die schweizerdeutschen Dialekte einen Blick in die sprachliche Vergangenheit ihrer jeweiligen Region zulassen, ist nicht neu, der Blick so weit zurück in die Dialekt-/Schrifttradition der Frühen Neuzeit wird durch dieses Projekts zum ersten Mal überhaupt möglich sein.
Jugendsprache im Kanton Bern (abgeschlossen)
Obwohl Jugendsprache bis heute nicht als einheitliches altersbedingtes Phänomen gefasst werden konnte, ist sie ein attraktives Forschungsfeld der Soziolinguistik. Jugendsprache vereint sprachliche Variation einer Standardsprache mit den sozialen Faktoren Alter, Geschlecht, Bildungsstand, regionale Herkunft und Migrationshintergrund. Jugendsprache hat auch die Forschung zur De-Ethnisierung entstehen lassen. Diese untersucht, warum auch Jugendliche ohne multikulturellen Hintergrund die in der Jugendsprache verwendeten ethnolektalen Elemente gebrauchen. Besonders in Deutschland, England, den Niederlanden, Skandinavien und Spanien wird vermehrt zu Jugendsprache geforscht, vereinzelt stehen auch bereits Korpora zu Jugendsprache zur Verfügung.
Die Schweiz bildet als mehrsprachiges Land ein idealer Nährboden für die Entstehung von Ethnolekten und Jugendsprachen. Trotzdem sind bis heute nur vereinzelte Studien zu den beiden Bereichen gemacht worden, meistens handelt es sich auch nur um klein angelegte Pilotstudien, die nach Abschluss nicht weiterverfolgt werden.
An der Universität Bern soll im Zeitraum 2019 – 2022 das erste Korpus zu Jugendsprache in der Schweiz entstehen. Dieses Korpus wird der internationalen Forschungscommunity zur Verfügung stehen und damit erstmals systematische soziolinguistische und sozialanthropologische Untersuchungen an einer diastratisch-diaphasischen Varietät ermöglichen.
Weitere Informationen zum Projekt und Zugriff zur Datenbank: www.jugendspracheschweiz.com
Gvätterlisch oder spiusch? Dialektwandel und Dialektvariation im Berner Mittelland (abgeschlossen)
Das vorliegende Dissertationsprojekt will auf der Basis des Sprachatlas der deutschen Schweiz (SDS) und der Sprachatlas des Deutschen Reiches (DSA) Dialektwandel und Dialektvariation im Berner Mittelland aufdecken und analysieren. Zum Vergleich mit den Daten aus den beiden Sprachatlanten wurden im Berner Mittelland an 20 Orten neue Daten zu 120 Variablen erhoben und in Dialektkarten visualisiert. Anders als in den Sprachatlanten wurden jedoch nicht ausschliesslich NORMs in den Untersuchungen berücksichtigt, sondern Personen aus 3 verschienenen Generationen (jung-mittel-alt) und einer Berufsgruppe (Landwirte). Das Ziel des Projekts ist es, Dialektwandel in Apparent- und Real-Time zu dokumentieren und die ausser- und innersprachlichen Gründe für vorliegenden Wandelprozesse aufzuzeigen.
Die Publikation der Arbeit wird 2024 erwartet.